Samstag, 26. März 2011

Verborgene schöenheit entdecken

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Verborgene Schönheit entdecken

Die indonesische Künstlerin Lena Simanjuntak

 
Spätestens seit Joseph Beuys wissen wir, dass Kunst nicht nur in Museen und auf Bühnen gehört. Die Dramaturgin Lena Simanjuntak-Mertes, die mit ihrer Familie in Köln lebt, hat in Indonesien ein besonderes Kunstprojekt mit Prostituierten entwickelt. KARIN VORLÄNDER hat sie besucht.


Als ich am Freitagmorgen um 10 Uhr an der Tür zu Lena Simanjuntak-Mertes großer Altbauwohnung in Köln klingle, haben die drei Studenten aus ihrer Heimat Indonesien, die seit ein paar Tagen bei ihr zu Gast sind, gerade das Haus verlassen. Tochter Nanette samt Söhnchen begegnen mir im Flur. "Das ist Oma. Sie ist viel bei uns, weil sie sonst zu oft allein ist", stellt Lena Simanjuntak mir eine grauhaarige alte Dame aus der Nachbarschaft vor. Sie komplimentiert uns beide an den riesigen Küchentisch, an dem sie alle noch bis vor ein paar Minuten beim Frühstück zusammen gesessen haben. "Hier gehen so viele Leute 'raus und 'rein. Ich kenne sie manchmal selbst nicht. Ich sage erst mal herzlich willkommen, und dann lerne ich die Schönheit unserer Gäste kennen", sagt die 41jährige. Während sie Tee kocht, gibt sie mir sozusagen "vorbeugend" einen Artikel zu lesen, in dem sie die Fragen abgehandelt hat, die ihr in Deutschland immer wieder gestellt werden. Etwa die, ob sie von den Philippinen oder aus Thailand komme. Dahinter, so ihre Erfahrung, steckt oft das Klischee, dass sie als Asiatin doch wohl nur als Heiratsmigrantin oder Prostituierte nach Deutschland gekommen sein könne. Dass eine Frau wie sie, die in Medan die Oberschule für Malerei und in Jakarta die Kunstakademie besucht hat, eine qualifizierte Ausbildung haben könnte, passt hierzulande offenbar nicht ins Bild von Ausländerinnen. Ernsthaften FragestellerInnen dagegen erklärt sie, dass sie aus Bandung/West Java stammt und "aus Liebe zu meinem Mann" seit 1985 in Deutschland lebt.
Aber Lena Simanjuntak sind ganz andere Themen wichtig als die ermüdende Litanei von "Wo kommen Sie her?" und "Wann wollen Sie wieder zurück?" Zum Beispiel das, weshalb sie ihre muslimischen Gäste gerade eben beim Gespräch am Frühstückstisch dazu ermutigt hat, keinesfalls ihr Gebet zu vernachlässigen. "Ich bin Christin, ihr seid Muslime, aber betet! Ihr gehört zum Islam, heute ist Freitag, euer Gebetstag", hat sie ihnen gesagt und zugleich ganz unbefangen davon erzählt, wo die Bibel Jesus anders versteht als der Koran. "Die Menschen müssen Gott haben. Das ist der wichtige Punkt. Denn mit Gott gibt es Schönheit", erklärt sie lächelnd und mit Nachdruck. Mit Schönheit meint die studierte Theater-Dramaturgin nicht die Schönheit, die sich beim Anblick ihrer großformatigen eigenen Gemälde im Flur entdecken lässt, oder die Ästhetik einer ihrer Theateraufführungen. Schönheit, das hat für sie in erster Linie mit ihrem Glauben zu tun. Wie und wo sie diese Schönheit erlebt? Zum Beispiel darin, keine Berührungsängste vor Menschen anderen Glaubens oder anderer sozialer Zugehörigkeit zu haben. Seien es nun die gottvergessenen AlltagsatheistInnen in ihrer neuen Heimat Deutschland, für die Gott "einfach Quatsch" ist, oder die Muslime aus ihrer alten Heimat Indonesien. Glaube, das ist für Lena Simanjuntak kein Haus, in das sie sich zurückzieht, sondern geradezu eine Tür zu anderen. "Gott nimmt uns nicht gefangen. Er gibt Freiheit. Diese Freiheit ist die Schönheit, und die möchte ich mit anderen teilen", erklärt sie. Wer dabei das Leuchten in ihren dunklen Augen sieht, entdeckt darin etwas von jener Schönheit, von der Lena Simanjuntak so offensichtlich bewegt und bewohnt ist.

 
Lena Simanjuntak bei ihrer Arbeit. Fotos: vem/Th. Hofmann
Lena Simanjuntak bei ihrer Arbeit. Fotos: vem/Th. Hofmann 

So nah wie möglich

Auch dass sie seit 1999 immer wieder Ehemann und die beiden Töchter in Köln zurücklässt ("Manchmal glaube ich, ich bin verrückt, als Hausfrau hätte ich es doch viel bequemer") und für drei Monate nach Surabaya in Ostjava/ Indonesien fährt, um dort mit Prostituierten Theater zu machen, hat für Lena Simanjuntak mit der Schönheit des Glaubens zu tun. Dabei sind die äußeren Bedingungen des mehrwöchigen Projektes, bei dem sie Sexworkerinnen befähigt, ihren Alltag, ihre Gewalt-Erfahrungen und ihre sozialen Probleme mittels eines selbst entwickelten Schauspiels auf die Bühne und an die Öffentlichkeit zu bringen, alles andere als "schön". Für die Dauer ihres Projektes, für das die erfahrene Regisseurin von einer indonesischen Anti-Aids Initiative angefragt wurde und das vom Weltgebetstag und der Vereinten Evangelischen Mission unterstützt wird, wollte Lena Simanjuntak "so nah wie möglich" bei den Frauen wohnen. Dieses "so nah wie möglich" entpuppte sich dann als ein schmutziges, dunkles, winziges Zimmer inmitten eines riesigen Bordellkomplexes in Hafennähe. Kriminalität, Gewalt, Krankheit und Alkoholprobleme inklusive. Obwohl sie als Tochter eines Luftwaffenoffiziers, der an immer neue Einsatzorte kommandiert wurde, wahrhaftig schon viel gesehen hatte und zu wissen glaubte, was Schmutz ist, hätte sie in Surabaya beinahe kapituliert. "Am ersten Abend, als die Frauen mir ihr Elend erzählt haben, habe ich mir gesagt: 'Wofür mein Theater? Das bringt doch nichts. Das Elend dieser Frauen ist so tief, so tief. Was bringt da schon Theater? Morgen fahr' ich nach Hause.' Ich konnte den ganzen Tag nicht weinen, am Abend habe ich mich übergeben", erinnert sie sich.
Dass sie dennoch geblieben ist, hat mit einer Erfahrung zu tun, die sie wieder nur mit "Gottes Schönheit" erklärt. "Auf einmal war in mir ein Wort, das hieß: 'Wenn du hier bist, ist das kein Zufall'", berichtet sie von der ihr unvermutet geschenkten Gewissheit, am richtigen Ort zu sein. "Da habe ich gesagt 'Dein Wille geschehe'."
 
"Gott zeigt mir die Schönheit. Diese Schönheit will ich überall verteilen."
"Gott zeigt mir die Schönheit. Diese Schönheit will ich überall verteilen." 

Lena Simanjuntak blieb und machte von 10 bis 15 Uhr Theatertraining mit etwa zwanzig Frauen, die anschließend bis zum frühen Morgen ihrer Arbeit nachgehen mussten. Eröffnet wurden die Proben auf Wunsch der muslimischen Frauen mit Meditation und Gebet: "Wir sind doch keine Schauspielerinnen, wir müssen uns Kraft von Gott holen", sagten sie. Vor der ersten Aufführung des Stückes, das die Frauen selbst entwickelten, verzichteten sie auf Essen und Trinken - und auf Kunden. "Mathahari & Matahari" nannten sie ihr Stück, was auf das indonesische Wort für Sonne hinweist und zugleich an die bekannte holländische Spionin gleichen Namens erinnert, die in Surabaya gelebt hat. Statt der vorgesehenen 30 Minuten dauerte die Aufführung in Jakarta zwei Stunden, weil die Frauen die Gelegenheit zur Improvisation reichlich nutzten, um sich ihr Leid von der Seele zu spielen.
Doch nicht das positive Presseecho und die große öffentliche Aufmerksamkeit sind es, die in Lena Simanjuntaks Augen den Erfolg ausmachen. Was für sie zählt, ist nicht das Endprodukt, sondern der Weg dorthin. "Unterwegs" haben die Frauen, die zumeist vom Land kommen und kaum Schulbildung haben, Zugang zum Lesen gefunden. Sie haben gelernt, ihre eigene Lebensgeschichte nicht als schuldhaftes Schicksal und sich selbst nicht als "Sünderinnen", sondern als Ergebnis sozialer Strukturen zu begreifen. Und so beginnen etliche nach Alternativen Ausschau zu halten. Für Lena Simanjuntak Grund genug, auch in diesem Jahr wieder nach Surabaya zu gehen, um an ihrer "Theater-Mission" weiterzuarbeiten. "Ich glaube nicht nur an Jesus, er ist auch mein Idol. Von ihm lerne ich, nahe bei den Menschen zu sein, die sonst oft gemieden werden.", sagt sie.

Randvolles Leben

Auch in Köln ist sie aktiv. Hier ist sie Mitglied einer evangelischen Kirchengemeinde, arbeitet regelmäßig beim Weltgebetstag mit, gehört zum Vorstand des "Kölner Bunten Frauen Netzwerkes" und war als erste Asiatin Vorstandsmitglied des "Bürgerzentrums Alte Feuerwache." Außerdem ist sie zweite Vorsitzende der christlichen indonesischen Perki Gemeinschaft. Zusätzlich bringt sie auch noch eine Ausbildung in interkultureller Evangelisation für PastorInnen und leitende Mitarbeitende aus fremdsprachigen Gemeinden der Vereinten Evangelischen Mission (VEM ) in Wuppertal in ihrem randvollen Leben unter. "Ich kann nicht allein individuell leben nur mit meinem Mann und meinen Töchtern. Statt zu kritisieren, was in dieser Welt ist, mache ich lieber was. Und wenn es was Kleines ist", findet sie.
Obwohl sie, anders als ihre beiden Töchter Sonja (13) und Nanette (21), ganz bewusst keinen deutschen Pass hat ("wozu ?"), will sie als "Großmutter eines deutschen Enkelkindes" Verantwortung übernehmen und "die Schönheit unter die Leute bringen". Zum Beispiel, indem sie Kontakt zum Obdachlosencafe Gulliver hält und auch mit ihren vielen Gästen ganz bewusst dorthin zum Kaffeetrinken geht. Sie sollen auch die Rückseite des reichen Deutschland sehen. In Köln will sie genau wie in Surabaya die verborgene Schönheit derer entdecken, die am Rand stehen. "Gott zeigt mir die Schönheit. Diese Schönheit will ich überall verteilen."
Und irgendwann, so plant sie, macht sie mit denen, die im Kölner Gulliver Stammgäste sind, auch ein Theaterprojekt.


Karin Vorländer ist freie Journalistin und wohnt in Denklingen bei Köln.



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